WEGE - ECHOBOX
Untitled XII, © Paul Melzer
WEGE - ECHOBOX
Ein Echo über Musik
Auf dieser Seite gewinnt die Idee Gestalt, die Interpretensicht auf ein Musikstück zu schärfen. Dies zu tun ist aus verschiedenen Gründen sehr naheliegend. Das Interpretieren von Musik entstand mit der Trennung von Komponieren und Musizieren, eine Trennung, die nicht in der ganzen Musikgeschichte und auf gar keinen Fall für alle musikalischen Gattungen als selbstverständlich an zu nehmen ist. Interpretation ist die Ausdeutung oder Übersetzung eines Textes. In der heutigen Zeit ist die Trennung von Komposition und Interpretation, so selbstverständlich sie anmutet, auf keinen Fall universell zu nennen. Dieses interpretatorische Handeln ist ein kultureller Schatz der westlichen Kunstmusik. Die Trennung von Komposition und Interpretation ist aus der Praxis der Musikausübung gewachsen und eng verbunden mit unserer kulturellen Tradition.
In meinen hier niedergelegten Kommentaren zu ausgesuchten Werken gehe ich diesen Weg der Interpretin. Ich begreife den Prozess der Interpretation als Zwiesprache mit dem Notentext, darüber hinaus als Zwiesprache mit den Quellen, die ein kulturelles Umfeld des Notentextes beleuchten. Bei der Arbeit im Bereich von Neuer Musik, wird die Begegnung mit der Musik lebendig. Es zeigt sich die ungeheure Vielfalt der Begegnungen mit den Menschen, die unter den Voraussetzungen unserer heutigen Zeit ihr kompositorisches Werk schaffen. Aus diesen Begegnungen schöpfe ich einen Erfahrungsschatz, den ich auf diesem Weg teilen möchte.
Meine Ausführungen richten sich an Menschen, die sich instrumental mit zeitgenössischen Kompositionen auseinandersetzen. Sie richten sich darüber hinaus an Musikliebhaber, die durch die Ausleuchtung des Raumes, in dem diese Werke entstanden, ein tieferes Verständnis entwickeln für diese Artefakte der Kunst unserer Zeit.
Ich setze die in der westlichen klassischen Musik entstandene Teilung der Rollen voraus, ohne sie festschreiben zu wollen. In meinem Musikerleben hat mich die Neugier auf die Verbundenheit der Musik mit den Voraussetzungen der Zeit, in der sie entsteht, immer weiter getragen zum Verständnis von Musik als kulturellem Ausdruck einer Gesellschaft. Dieses möchte ich teilen. Ich definiere meine Rolle als Ausdeuterin des vorgefundenen musikalischen Textes. Dies ist in der musikalischen Interpretation, also im Spielen selbst, eine selbstverständliche Herausforderung, immer wieder geschliffen an den höchst ausdifferenzierten Individualstilen der zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten. Darüber hinaus beleuchten die folgenden Texte die spezifischen Umstände, in die die Werke eingebettet sind.
Als Akkordeonistin ist es mein Ziel den Schatz zu beschreiben, den diese Werke für mein Instrument bedeuten.
NE MA-UM
NE MA-UM
von Younghi Pagh-Paan
für Akkordeon Solo mit kleinem Schlagwerk
NE MA-UM stammt aus dem Jahr 1996 /1998. Titel und Entstehungsjahr verraten bereits enorm viel über dieses bedeutende Werk für Akkordeon. Es ist für Solo-Akkordeon geschrieben und benutzt darüber hinaus noch kleines Schlagwerk.
Herz
Der Titel besteht aus den zwei koreanischen Wörtern „NE MA-UM“. Sie bedeuten „mein Herz“. Betrachtet man die Werktitel Younghi Pagh-Paans, in denen das „Herz“ in koreanischer oder deutscher Sprache auftaucht, so fällt auf, dass alle diese Werke mit Gesang besetzt sind, bis auf „NE MA-UM“ das für Soloakkordeon entstand. So scheint der Gesang sehr eng mit dem Ausdruck des Innersten verknüpft zu sein. Denn dafür steht in Younghi Pagh-Paans Sichtweise das Herz. Mein Herz ist dafür eine Metapher. Das Akkordeon hat offensichtlich für Younghi Pagh- Paan eine sehr enge Beziehung zum Gesang.
Dem Stück ist eine Zeile aus H.C.Artmanns Gedicht „Mein Herz“ beigestellt. Das ganze Gedicht ist hier von Achim Rikus gesprochen zu hören. Dem Werk als Textzeile beigegeben ist daraus die Zeile „mein herz ist die abendstille geste einer atmenden hand“. Diese Textzeile evoziert eine ganz Reihe von Bildern, die mit dem Akkordeon verknüpft sind: die atmende Hand, die die Luft im Balg führt, die abendstille Geste, mit der die Hände mit den Manualen in Kontakt kommen – Ausdruck des Herzens. Spürt man diesem Begriff intensiver nach, so zeigt sich die Frage nach den Konnotationen der Metapher Herz. Erstaunlicherweise ist das Herz im koreanischen Kulturraum mit ähnlichen Assoziationen verbunden wie im europäischen. Es steht für das Innerste, für den Zufluchtsort, die Identität, steht für existenzielle Erfahrung. Wenn Younghi Pagh-Paan als junger Mensch ihrem Vater vorsang, um ihn in seiner tiefen Trauer um den im Krieg verlorenen siebzehnjährigen Sohn, ihren Bruder, zu trösten, so kamen diese Klänge tief aus ihrem Herzen und waren mit dem verbunden, was wir mit dem Begriff Seele zu beschreiben suchen.
Seele
Der Begriff Seele ist schwerlich fassbar. Mit der Frage nach der Seele eines Instrumentes nähert man sich dem Wesentlichen, was ein Instrument ausmacht. Genau dieser Weg lässt sich in Bezug auf das vorliegende Solostück gehen. Im Kompositorischen entwickelt Younghi Pagh-Paan den Klang aus den Bedingungen der kleinsten Einheit, die das Instrument bestimmt. Diese kleinsten Klangeinheiten am Instrument Akkordeon sind die metallenen Zungen, die die Klänge mithilfe von Luft hervorbringen. Diese Stimmzungen sind unsichtbar im Korpus des Instrumentes verbaut. Mit dem fließenden Atem, das heißt mit dem Fließen der Luft kommen sie in Bewegung. Der Atem ist verbunden mit der Seele, durch die Luft steigt der aus ihr auf. Der Klang entsteht aus der freien Bewegung der Luft, ohne Festigkeit. Es ist das Prinzip des Gesangs, das den Akkordeonklang formt. Die Natur der Stahlzunge ist eine andere. Der Klang, den sie produziert ist stetig, man kann sagen er hat binären Charakter. Er ist da oder er ist weg. Anders als Flöten oder Streichinstrumente hat er nicht den weiten Zwischenraum zwischen sein und nicht-sein. Dieser Tatsache sah sich die Komponistin als Herausforderung gegenüber. Das Stück lebt von einer Offenbarung der Vielfalt der Klangbewegung. Sie geschieht in Trillern, Repetitionen, Tremolandi, vibrato-Techniken und der Balgtechnik Bellows-Shake. All diese Techniken der Klangmodulierung hat die Komponistin für das Akkordeon in einer unglaublichen Vielfalt in ihre Musik gebannt. In der Notation erstaunt das Maß an gegebener Freiheit, die an die Verantwortung des Interpreten appelliert. Die Klangbewegung ist geleitet von naturverbundenen Bildern, wie sie das Gedicht von Artmann formulieren – ein Wind der durch Blätter fährt und sie erzittern lässt – ein gutes Bild für ein bestimmtes vibrato, oder einen Triller oder andere Techniken, die die Komponistin mit ihrem Klangsinn für Akkordeon ganz eigen und neu definiert hat.
Luft
Eine ganzheitliche Einordnung des Stückes berücksichtigt den kulturellen Raum, den das Stück in sich trägt. Wie Silke Leopold (link dorthin https://www.adk.de/de/news/?we_objectID=60887) in ihrer Laudatio für Younghi Pagh-Paan anlässlich der Verleihung des Großen Kunstpreises Berlin ausführt, trägt die Komponistin das Eigene und das Fremde als Spannungsfeld in sich. Die Komponistin verbrachte ihre Kindheit in einer mittelgroßen süd-koreanischen Stadt, studierte dann Musik an der Universotät in Seoul. Danach kam sie 1974 mit einem DAAD Stipendium nach Deutschland. Die Werke der ersten 25 Schaffensjahre tragen koreanische Titel, so auch „NE MA-UM“. In diesem Stück gelingt der Komponistin eine ganz eigene Verschmelzung in eine eigene Tonsprache. Diese Tonsprache ist gekennzeichnet durch die musikalischen Erfahrungen in der koreanischen Heimat und der in Deutschland bei Klaus Huber erworbenen kompositorischen Ausbildung. geht man unter diesem Aspekt auf Spurensuche wird man auch in dem vorliegenden Solowerk fündig. In „NE MA-UM“ spielt der traditionelle Pansori-Gesang eine tragende Rolle. Es sind singende Frauen, die sich selbst mit kleinem Schlagwerk begleiten oder begleitet werden. Dieses Setting wurde in das Solostück übernommen.
Das Bild des Herzens, die Verknüpfung mit dem Pansori-Gesang, mit der Textzeile von Artmann, der koreanische Titel – alles legt beredtes Zeugnis davon ab wie die Komponistin in ihrem Werk einen vollständig autonomen Personalstil kreiert unauflösbar verbunden mit ihrem persönlichen Leben.
Moira
von Younghi Pagh-Paan
für Mezzosopran (mit Holzstab) und Akkordeon
Die Einbettung
„Moira“ ist ein mitreißendes Werk Younghi Pagh-Paans, der altgriechische Titel bedeutet „Schicksal“. „Moira“ ist die Hauptarie der Antigone in der Oper „Mondschatten“. Dies ist ihre bisher einzige Oper. Sie wurde 2006 in Stuttgart uraufgeführt. „Moira“ entstand am Anfang des Schaffensprozesses und wurde 2004 in Bremen von Katharina Rikus und mir uraufgeführt. Die Oper knüpft in ihrer Handlung an Sophokles Tragödie „Ödipus auf Kolonos“ an. Antigone wird von ihrem Onkel Kreon, Herrscher über Theben, zum Tode verurteilt. Antigone ist eine der beiden Töchter des Ödipus. Sie begräbt ihren Bruder Polinykes, der die Stadt angriff und wird dafür von ihrem Onkel zum Tode verurteilt.
Das Werk „Moira“ zeigt Antigone in der Erkenntnis ihres nahe bevorstehenden Todes. Es leuchtet wie ein Seelenspiegel Antigones inneres Beben aus. Ihr Weh ist von Klage erfüllt. Der Akkordeonpart stützt diese Ausdruckskraft vollständig. Er leuchtet die tiefsten Tiefen und die höchsten Höhen aus, formt banges Erschauern und klangliches Beben. Die Energie des Gesanges schreibt sich im Akkordeonpart fort. (https://joachimheintz.de/globales/2008_Moira.pdf)
Dies ist der Text, den Younghi Pagh-Paan vertont hat:
Geht, Geht – Seufzer – Geht – Seufzer –
Lasst mich!
Weh, Weh, Weh mir! Lasst mich!
- Seufzer – Geht, Geht. Es naht, es naht der Tod, Tod, der Tod.
Weh, Weh mir, es naht der Tod – Seufzer – Weh mir, es naht der Tod –
- Seufzer – lebendig soll ich steigen in die Gruft. Lebendig in die Gruft.
Doch, doch, wenn die Götter wollen, die Götter wollen, dass ich leide
So lerne ich im Tod wohl meine Schuld
Wenn aber meine Feinde Schuld, dann treffe dasselbe Schicksal sie, das mir verhängt, das mir verhängt. – Seufzer – Der Tod. Dasselbe Schicksal – Seufzer – das mir verhängt
Die drei Säulen
Folgt man Silke Leopold (link: https://www.pagh-paan.com/docs/2020_laudatio_berlin.pdf )in ihren Ausführungen über Younghi Pagh-Paans Schaffen, so identifiziert sie drei Säulen, auf denen ihr bisheriges kompositorisches Werk ruht. Es ist dies als stärkste Wirkmacht die Spannung zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Ein weiteres Lebensthema ist darüber hinaus Politik; das Eingebundensein in politische Unrechtsstrukturen und Gewalt und den Widerstand dagegen. Und schließlich eine Fülle von philosophischen und religiösen Themen, bei denen Younghi Pagh-Paan eine Zusammenschau scheinbar weit entfernter Wirklichkeiten gelingt.
Betrachtet man „Moira“ aus diesen drei Blickwinkeln erhält das Werk einen umfangreichen Bezugsrahmen voller unterschiedlichster Quellen.
Die Sängerin hat einen auffälligen Holzstab, mit dem sie immer wieder auf den eigenen Handballen schlägt. Er ist längs gespalten, so dass dabei beide Holzseiten aufeinander schlagen. Ein solcher Stab wird in buddhistischen Klöstern benutzt, um Menschen aus einem Warteraum auf zu rufen. Im übertragenen Sinne liegt der Aufruf Antigones zu ihrem Schicksal als Assoziation sehr nah. Dieses koreanische Instrument liefert die Schläge, die zum Vollzug aufrufen. Hier begegnet uns die Sängerin, die sich selbst mit einem Schlaginstrument begleitet, ähnlich wie im traditionellen Pansori-Gesang. Der Mezzosopranstimme, die der Klangaura abendländischer Stimmbildung entstammt, wird das fernöstliche Instrument beigegeben, womit die Sängerin in beiden Welten beheimatet ist. Mit „Moira“ erfolgt eine Aneignung der fremden Stimme zum Eigenen hin.
In der Oper Mondschatten gibt es auf der textlichen Ebene eine Verbindung von zen-buddhistischen Haikus, Texten des in Deutschland lebenden koreanischen Philosophen und Kulturwissenschaftlers Byung-Chul Han und der altgriechischen Tragödie. Betrachtet unter dem Licht Silke Leopolds, hat die Sängerin als Antigone Figur eine sehr starke politische Aussage. Sie ist in der Literatur die erste Frau, die sich der Hierarchie widersetzt. Sie ist die erste literarische Person, die sich staatlichem Terror widersetzt. Kreon ist nicht nur ihr Onkel sondern auch das Staatsoberhaupt des Stadtstaates. Mit der Bestattung des Bruders leistet sie politischen Widerstand. Das Werk ist in ein Energiefeld gesetzt, in dem das politische Gesetz mit dem ethischen Gesetz in eine vernichtende Konfrontation gerät. Die Anknüpfung an die dritte genannte Säule, die altgriechische Philosophie, liegt auf der Hand. Sie ist der Rahmen, in dem das Werk geschieht.
„Moira“ und die fortschreitende Lebendigkeit musikalischer Strukturen
Betrachtet man den Akkordeonpart von „Moira“ und vergleicht ihn mit „NE MA-UM“ so fällt auf, dass die Komponistin kompositorisches Material entwickelt hat, das weit über ein Stück hinausreicht. Es entwickelt ein Eigenleben. Die Komponistin definiert die Klangwelt des Instrumentes in ihrem Solowerk. Diese Klangwelt findet sich in „Moira“ in einem völlig anderen Kontext wieder. Es lohnt sich, die Klänge in unterschiedlichen Registrierungen zu erproben, u ihre Vielfalt zu erleben. Das Eigenleben der verwendeten musikalischen Strukturen reicht noch viel weiter. Die Oper Mondschatten entstand in Verbindung mit diesem Grundmaterial. „Io“ für 9 Instrumentalisten ist in diesem Zusammenhang unbedingt zu nennen. Das Werk entstand 2000 also zeitlich zwischen „NE MA-UM“ und „Moira“. Es ist die erste Ausformung des akkordeonspezifischen Klanges als großes Ensemblestück. Inhaltlich verknüpft es sich zu Io, einer Figur aus der griechischen Mythologie. So ist es richtig, „NE MA-UM“ – „Io“ – „Moira“ – „Mondschatten“ in einem Atemzug zu nennen. Sie sind durchweht vom Atem des Gesanges und der Luft des Akkordeons.
Silbersaiten
von Younghi Pagh-Paan
für Klavier und Akkordeon
„Silbersaiten IV“ st ein verhältnismäßig kurzes Stück und zeigt eine weitere, wichtige Seite des Schaffens Younghi Pagh-Paans für Akkordeon. Betrachtet man Younghi Pagh-Paans Werkkatalog, so fallen eine ganze Reihe von Werken auf, die durch unterschiedliche Besetzungen wandeln.
Eine ganze Reihe von Werken liegen mit Namensgleichheit für verschiedene Besetzungen vor. In Bezug auf Akkordeon gehören „MAN-NAM III“ für Streichtrio und Akkordeon, dessen Uraufführung ich selbst spielte, dazu. Das vorliegende „Silbersaiten IV“ zählt ebenso zu den Werken, die durch verschiedene Besetzungen wandeln. Die Uraufführung fand in der Klangwerkstatt Berlin statt, von meinem geschätzten Kollegen Gerhard Scherer zusammen mit Katja Tchemberdji.
Die ursprüngliche Version von „MAN-NAM“ entstand für Klarinette und Streichtrio, die ursprüngliche Besetzung für Silbersaiten ist ein Klaviertrio in der Besetzung mit Violine und Cello. Auch der Titel „TA-RYONG“ ist im Werkkatalog sechsmal vertreten, darunter mit einem Werk für Klarinettenduo und Akkordeon. Hier handelt es sich allerdings im Gegensatz zu den erstgenannten um voneinander unabhängige Werke, obgleich sie den gleichen Titel tragen.
Die erstgenannten sind von der Komponistin autorisierte Transkriptionen. Für die Komponistin ist das Bearbeiten ein eigener schöpferischer Prozess. Er ist in der Intensität nicht weit entfernt vom eigentlichen Kompositionsprozess. Es wird dabei kein neues Material erzeugt sondern das vorhandene an die neue Klanglichkeit und Körperlichkeit des Instrumentes angepasst. Dem ursprünglichen Material wird damit eine weitere Facette verliehen, die es ohne diese neue Körperlichkeit – diese andere klangliche Realität – des neuen Instrumentes nicht hätte. Sehr großes Vertrauen ist die Voraussetzung, die eigene Musik einem Interpreten oder einer Interpretin zur Transkription zu übergeben wie dies bei “MAN-NAM III” geschehen ist. Younghi Pagh-Paan hat diesen Bearbeitungsprozess bei allen anderen Instrumenten selbst getan, “MAN-NAM III” bildet hier die Ausnahme von der Regel. Jede Bearbeitung muss die eigene musikalische Seele atmen und ist somit ein schöpferischer Akt. In diesen Gedankenraum sind diese Werke, die einen Transkriptionsprozess durchlaufen haben, verortet.
Silbersaiten – Ein Erinnerungsstück
Silbersaiten ist von Erinnerung durchwoben. Es ist ihm ein Gedicht von Gottfried Keller vorangestellt ist. Der Titel des Gedichtes lautet „Jugendgedenken“.
Hier ist ein kleiner Ausschnitt davon
Ich will spiegeln mich in jenen Tagen,
Die wie Lindenwipfelwehn entflohn,
Wo die Silbersaite, angeschlagen
Klar, doch bebend gab den ersten Ton.
Der mein Leben lang,
Erst heute noch, widerklang,
Ob die Saite längst zerrissen schon.
Bereits in den anderen besprochenen Werken Younghi Pagh-Paans fällt die Verknüpfung mit einer Lyrik auf. Es ist dies ein Moment des Angerührtseins, aus dem die Inspiration für ein Werk gespeist wird, der geistige Ort, zu dem das Werk in Beziehung steht.
„Silbersaiten“ tritt in einen Bezug zu diesem Gedicht ohne Programmmusik zu sein oder sein zu wollen. Die Komponistin sagt dazu in einem eigenen Werkkommentar, dass das Gedicht einen starken Eindruck bei ihr hinterließ und im Nachklang die Idee zur Komposition des Stückes. Die „Silbersaite“ symbolisiert eine Begegnung, die – wie das Anschlagen einer Saite einen Klang erzeugt – noch lange im Herzen nachklingt. Es ist somit ein Stück im Raum des Erinnerns.
Im Titel ist bereits ersichtlich, dass Silbersaiten in verschiedenen Versionen zu finden ist. Die Version für Akkordeon und Klavier ist die vierte von bislang fünf. Das erste Stück dieses Namens entstand 2002 für Klavier, Geige und Cello.
Das vorliegende „Silbersaiten IV“ wurde zur Keimzelle eines ganzen Programmes für Klavier und Akkordeon, in dem Kollegen und ehemalige Schülerinnen und Schüler an der Hochschule für Künste, Bremen, Younghi Pagh-Paan zu ihrem 75. Geburtstag gratulieren. Durch die Pandemie finden diese Konzerte erst etwas später, nämlich im Sommer 2021 statt.
Silbersaiten
von Younghi Pagh-Paan
für Klavier und Akkordeon
„Silbersaiten IV“ st ein verhältnismäßig kurzes Stück und zeigt eine weitere, wichtige Seite des Schaffens Younghi Pagh-Paans für Akkordeon. Betrachtet man Younghi Pagh-Paans Werkkatalog, so fallen eine ganze Reihe von Werken auf, die durch unterschiedliche Besetzungen wandeln.
Eine ganze Reihe von Werken liegen mit Namensgleichheit für verschiedene Besetzungen vor. In Bezug auf Akkordeon gehören „MAN-NAM III“ für Streichtrio und Akkordeon, dessen Uraufführung ich selbst spielte, dazu. Das vorliegende „Silbersaiten IV“ zählt ebenso zu den Werken, die durch verschiedene Besetzungen wandeln. Die Uraufführung fand in der Klangwerkstatt Berlin statt, von meinem geschätzten Kollegen Gerhard Scherer zusammen mit Katja Tchemberdji.
Die ursprüngliche Version von „MAN-NAM“ entstand für Klarinette und Streichtrio, die ursprüngliche Besetzung für Silbersaiten ist ein Klaviertrio in der Besetzung mit Violine und Cello. Auch der Titel „TA-RYONG“ ist im Werkkatalog sechsmal vertreten, darunter mit einem Werk für Klarinettenduo und Akkordeon. Hier handelt es sich allerdings im Gegensatz zu den erstgenannten um voneinander unabhängige Werke, obgleich sie den gleichen Titel tragen.
Die erstgenannten sind von der Komponistin autorisierte Transkriptionen. Für die Komponistin ist das Bearbeiten ein eigener schöpferischer Prozess. Er ist in der Intensität nicht weit entfernt vom eigentlichen Kompositionsprozess. Es wird dabei kein neues Material erzeugt sondern das vorhandene an die neue Klanglichkeit und Körperlichkeit des Instrumentes angepasst. Dem ursprünglichen Material wird damit eine weitere Facette verliehen, die es ohne diese neue Körperlichkeit – diese andere klangliche Realität – des neuen Instrumentes nicht hätte. Sehr großes Vertrauen ist die Voraussetzung, die eigene Musik einem Interpreten oder einer Interpretin zur Transkription zu übergeben wie dies bei “MAN-NAM III” geschehen ist. Younghi Pagh-Paan hat diesen Bearbeitungsprozess bei allen anderen Instrumenten selbst getan, “MAN-NAM III” bildet hier die Ausnahme von der Regel. Jede Bearbeitung muss die eigene musikalische Seele atmen und ist somit ein schöpferischer Akt. In diesen Gedankenraum sind diese Werke, die einen Transkriptionsprozess durchlaufen haben, verortet.
Silbersaiten – Ein Erinnerungsstück
Silbersaiten ist von Erinnerung durchwoben. Es ist ihm ein Gedicht von Gottfried Keller vorangestellt ist. Der Titel des Gedichtes lautet „Jugendgedenken“.
Hier ist ein kleiner Ausschnitt davon
Ich will spiegeln mich in jenen Tagen,
Die wie Lindenwipfelwehn entflohn,
Wo die Silbersaite, angeschlagen
Klar, doch bebend gab den ersten Ton.
Der mein Leben lang,
Erst heute noch, widerklang,
Ob die Saite längst zerrissen schon.
Bereits in den anderen besprochenen Werken Younghi Pagh-Paans fällt die Verknüpfung mit einer Lyrik auf. Es ist dies ein Moment des Angerührtseins, aus dem die Inspiration für ein Werk gespeist wird, der geistige Ort, zu dem das Werk in Beziehung steht.
„Silbersaiten“ tritt in einen Bezug zu diesem Gedicht ohne Programmmusik zu sein oder sein zu wollen. Die Komponistin sagt dazu in einem eigenen Werkkommentar, dass das Gedicht einen starken Eindruck bei ihr hinterließ und im Nachklang die Idee zur Komposition des Stückes. Die „Silbersaite“ symbolisiert eine Begegnung, die – wie das Anschlagen einer Saite einen Klang erzeugt – noch lange im Herzen nachklingt. Es ist somit ein Stück im Raum des Erinnerns.
Im Titel ist bereits ersichtlich, dass Silbersaiten in verschiedenen Versionen zu finden ist. Die Version für Akkordeon und Klavier ist die vierte von bislang fünf. Das erste Stück dieses Namens entstand 2002 für Klavier, Geige und Cello.
Das vorliegende „Silbersaiten IV“ wurde zur Keimzelle eines ganzen Programmes für Klavier und Akkordeon, in dem Kollegen und ehemalige Schülerinnen und Schüler an der Hochschule für Künste, Bremen, Younghi Pagh-Paan zu ihrem 75. Geburtstag gratulieren. Durch die Pandemie finden diese Konzerte erst etwas später, nämlich im Sommer 2021 statt.
Moira
von Younghi Pagh-Paan
für Mezzosopran (mit Holzstab) und Akkordeon
Die Einbettung
„Moira“ ist ein mitreißendes Werk Younghi Pagh-Paans, der altgriechische Titel bedeutet „Schicksal“. „Moira“ ist die Hauptarie der Antigone in der Oper „Mondschatten“. Dies ist ihre bisher einzige Oper. Sie wurde 2006 in Stuttgart uraufgeführt. „Moira“ entstand am Anfang des Schaffensprozesses und wurde 2004 in Bremen von Katharina Rikus und mir uraufgeführt. Die Oper knüpft in ihrer Handlung an Sophokles Tragödie „Ödipus auf Kolonos“ an. Antigone wird von ihrem Onkel Kreon, Herrscher über Theben, zum Tode verurteilt. Antigone ist eine der beiden Töchter des Ödipus. Sie begräbt ihren Bruder Polinykes, der die Stadt angriff und wird dafür von ihrem Onkel zum Tode verurteilt.
Das Werk „Moira“ zeigt Antigone in der Erkenntnis ihres nahe bevorstehenden Todes. Es leuchtet wie ein Seelenspiegel Antigones inneres Beben aus. Ihr Weh ist von Klage erfüllt. Der Akkordeonpart stützt diese Ausdruckskraft vollständig. Er leuchtet die tiefsten Tiefen und die höchsten Höhen aus, formt banges Erschauern und klangliches Beben. Die Energie des Gesanges schreibt sich im Akkordeonpart fort. (https://joachimheintz.de/globales/2008_Moira.pdf)
Dies ist der Text, den Younghi Pagh-Paan vertont hat:
Geht, Geht – Seufzer – Geht – Seufzer –
Lasst mich!
Weh, Weh, Weh mir! Lasst mich!
- Seufzer – Geht, Geht. Es naht, es naht der Tod, Tod, der Tod.
Weh, Weh mir, es naht der Tod – Seufzer – Weh mir, es naht der Tod –
- Seufzer – lebendig soll ich steigen in die Gruft. Lebendig in die Gruft.
Doch, doch, wenn die Götter wollen, die Götter wollen, dass ich leide
So lerne ich im Tod wohl meine Schuld
Wenn aber meine Feinde Schuld, dann treffe dasselbe Schicksal sie, das mir verhängt, das mir verhängt. – Seufzer – Der Tod. Dasselbe Schicksal – Seufzer – das mir verhängt
Die drei Säulen
Folgt man Silke Leopold (link: https://www.pagh-paan.com/docs/2020_laudatio_berlin.pdf )in ihren Ausführungen über Younghi Pagh-Paans Schaffen, so identifiziert sie drei Säulen, auf denen ihr bisheriges kompositorisches Werk ruht. Es ist dies als stärkste Wirkmacht die Spannung zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Ein weiteres Lebensthema ist darüber hinaus Politik; das Eingebundensein in politische Unrechtsstrukturen und Gewalt und den Widerstand dagegen. Und schließlich eine Fülle von philosophischen und religiösen Themen, bei denen Younghi Pagh-Paan eine Zusammenschau scheinbar weit entfernter Wirklichkeiten gelingt.
Betrachtet man „Moira“ aus diesen drei Blickwinkeln erhält das Werk einen umfangreichen Bezugsrahmen voller unterschiedlichster Quellen.
Die Sängerin hat einen auffälligen Holzstab, mit dem sie immer wieder auf den eigenen Handballen schlägt. Er ist längs gespalten, so dass dabei beide Holzseiten aufeinander schlagen. Ein solcher Stab wird in buddhistischen Klöstern benutzt, um Menschen aus einem Warteraum auf zu rufen. Im übertragenen Sinne liegt der Aufruf Antigones zu ihrem Schicksal als Assoziation sehr nah. Dieses koreanische Instrument liefert die Schläge, die zum Vollzug aufrufen. Hier begegnet uns die Sängerin, die sich selbst mit einem Schlaginstrument begleitet, ähnlich wie im traditionellen Pansori-Gesang. Der Mezzosopranstimme, die der Klangaura abendländischer Stimmbildung entstammt, wird das fernöstliche Instrument beigegeben, womit die Sängerin in beiden Welten beheimatet ist. Mit „Moira“ erfolgt eine Aneignung der fremden Stimme zum Eigenen hin.
In der Oper Mondschatten gibt es auf der textlichen Ebene eine Verbindung von zen-buddhistischen Haikus, Texten des in Deutschland lebenden koreanischen Philosophen und Kulturwissenschaftlers Byung-Chul Han und der altgriechischen Tragödie. Betrachtet unter dem Licht Silke Leopolds, hat die Sängerin als Antigone Figur eine sehr starke politische Aussage. Sie ist in der Literatur die erste Frau, die sich der Hierarchie widersetzt. Sie ist die erste literarische Person, die sich staatlichem Terror widersetzt. Kreon ist nicht nur ihr Onkel sondern auch das Staatsoberhaupt des Stadtstaates. Mit der Bestattung des Bruders leistet sie politischen Widerstand. Das Werk ist in ein Energiefeld gesetzt, in dem das politische Gesetz mit dem ethischen Gesetz in eine vernichtende Konfrontation gerät. Die Anknüpfung an die dritte genannte Säule, die altgriechische Philosophie, liegt auf der Hand. Sie ist der Rahmen, in dem das Werk geschieht.
„Moira“ und die fortschreitende Lebendigkeit musikalischer Strukturen
Betrachtet man den Akkordeonpart von „Moira“ und vergleicht ihn mit „NE MA-UM“ so fällt auf, dass die Komponistin kompositorisches Material entwickelt hat, das weit über ein Stück hinausreicht. Es entwickelt ein Eigenleben. Die Komponistin definiert die Klangwelt des Instrumentes in ihrem Solowerk. Diese Klangwelt findet sich in „Moira“ in einem völlig anderen Kontext wieder. Es lohnt sich, die Klänge in unterschiedlichen Registrierungen zu erproben, u ihre Vielfalt zu erleben. Das Eigenleben der verwendeten musikalischen Strukturen reicht noch viel weiter. Die Oper Mondschatten entstand in Verbindung mit diesem Grundmaterial. „Io“ für 9 Instrumentalisten ist in diesem Zusammenhang unbedingt zu nennen. Das Werk entstand 2000 also zeitlich zwischen „NE MA-UM“ und „Moira“. Es ist die erste Ausformung des akkordeonspezifischen Klanges als großes Ensemblestück. Inhaltlich verknüpft es sich zu Io, einer Figur aus der griechischen Mythologie. So ist es richtig, „NE MA-UM“ – „Io“ – „Moira“ – „Mondschatten“ in einem Atemzug zu nennen. Sie sind durchweht vom Atem des Gesanges und der Luft des Akkordeons.
NE MA-UM
NE MA-UM
von Younghi Pagh-Paan
für Akkordeon Solo mit kleinem Schlagwerk
NE MA-UM stammt aus dem Jahr 1996 /1998. Titel und Entstehungsjahr verraten bereits enorm viel über dieses bedeutende Werk für Akkordeon. Es ist für Solo-Akkordeon geschrieben und benutzt darüber hinaus noch kleines Schlagwerk.
Herz
Der Titel besteht aus den zwei koreanischen Wörtern „NE MA-UM“. Sie bedeuten „mein Herz“. Betrachtet man die Werktitel Younghi Pagh-Paans, in denen das „Herz“ in koreanischer oder deutscher Sprache auftaucht, so fällt auf, dass alle diese Werke mit Gesang besetzt sind, bis auf „NE MA-UM“ das für Soloakkordeon entstand. So scheint der Gesang sehr eng mit dem Ausdruck des Innersten verknüpft zu sein. Denn dafür steht in Younghi Pagh-Paans Sichtweise das Herz. Mein Herz ist dafür eine Metapher. Das Akkordeon hat offensichtlich für Younghi Pagh- Paan eine sehr enge Beziehung zum Gesang.
Dem Stück ist eine Zeile aus H.C.Artmanns Gedicht „Mein Herz“ beigestellt. Das ganze Gedicht ist hier von Achim Rikus gesprochen zu hören. Dem Werk als Textzeile beigegeben ist daraus die Zeile „mein herz ist die abendstille geste einer atmenden hand“. Diese Textzeile evoziert eine ganz Reihe von Bildern, die mit dem Akkordeon verknüpft sind: die atmende Hand, die die Luft im Balg führt, die abendstille Geste, mit der die Hände mit den Manualen in Kontakt kommen – Ausdruck des Herzens. Spürt man diesem Begriff intensiver nach, so zeigt sich die Frage nach den Konnotationen der Metapher Herz. Erstaunlicherweise ist das Herz im koreanischen Kulturraum mit ähnlichen Assoziationen verbunden wie im europäischen. Es steht für das Innerste, für den Zufluchtsort, die Identität, steht für existenzielle Erfahrung. Wenn Younghi Pagh-Paan als junger Mensch ihrem Vater vorsang, um ihn in seiner tiefen Trauer um den im Krieg verlorenen siebzehnjährigen Sohn, ihren Bruder, zu trösten, so kamen diese Klänge tief aus ihrem Herzen und waren mit dem verbunden, was wir mit dem Begriff Seele zu beschreiben suchen.
Seele
Der Begriff Seele ist schwerlich fassbar. Mit der Frage nach der Seele eines Instrumentes nähert man sich dem Wesentlichen, was ein Instrument ausmacht. Genau dieser Weg lässt sich in Bezug auf das vorliegende Solostück gehen. Im Kompositorischen entwickelt Younghi Pagh-Paan den Klang aus den Bedingungen der kleinsten Einheit, die das Instrument bestimmt. Diese kleinsten Klangeinheiten am Instrument Akkordeon sind die metallenen Zungen, die die Klänge mithilfe von Luft hervorbringen. Diese Stimmzungen sind unsichtbar im Korpus des Instrumentes verbaut. Mit dem fließenden Atem, das heißt mit dem Fließen der Luft kommen sie in Bewegung. Der Atem ist verbunden mit der Seele, durch die Luft steigt der aus ihr auf. Der Klang entsteht aus der freien Bewegung der Luft, ohne Festigkeit. Es ist das Prinzip des Gesangs, das den Akkordeonklang formt. Die Natur der Stahlzunge ist eine andere. Der Klang, den sie produziert ist stetig, man kann sagen er hat binären Charakter. Er ist da oder er ist weg. Anders als Flöten oder Streichinstrumente hat er nicht den weiten Zwischenraum zwischen sein und nicht-sein. Dieser Tatsache sah sich die Komponistin als Herausforderung gegenüber. Das Stück lebt von einer Offenbarung der Vielfalt der Klangbewegung. Sie geschieht in Trillern, Repetitionen, Tremolandi, vibrato-Techniken und der Balgtechnik Bellows-Shake. All diese Techniken der Klangmodulierung hat die Komponistin für das Akkordeon in einer unglaublichen Vielfalt in ihre Musik gebannt. In der Notation erstaunt das Maß an gegebener Freiheit, die an die Verantwortung des Interpreten appelliert. Die Klangbewegung ist geleitet von naturverbundenen Bildern, wie sie das Gedicht von Artmann formulieren – ein Wind der durch Blätter fährt und sie erzittern lässt – ein gutes Bild für ein bestimmtes vibrato, oder einen Triller oder andere Techniken, die die Komponistin mit ihrem Klangsinn für Akkordeon ganz eigen und neu definiert hat.
Luft
Eine ganzheitliche Einordnung des Stückes berücksichtigt den kulturellen Raum, den das Stück in sich trägt. Wie Silke Leopold (link dorthin https://www.adk.de/de/news/?we_objectID=60887) in ihrer Laudatio für Younghi Pagh-Paan anlässlich der Verleihung des Großen Kunstpreises Berlin ausführt, trägt die Komponistin das Eigene und das Fremde als Spannungsfeld in sich. Die Komponistin verbrachte ihre Kindheit in einer mittelgroßen süd-koreanischen Stadt, studierte dann Musik an der Universotät in Seoul. Danach kam sie 1974 mit einem DAAD Stipendium nach Deutschland. Die Werke der ersten 25 Schaffensjahre tragen koreanische Titel, so auch „NE MA-UM“. In diesem Stück gelingt der Komponistin eine ganz eigene Verschmelzung in eine eigene Tonsprache. Diese Tonsprache ist gekennzeichnet durch die musikalischen Erfahrungen in der koreanischen Heimat und der in Deutschland bei Klaus Huber erworbenen kompositorischen Ausbildung. geht man unter diesem Aspekt auf Spurensuche wird man auch in dem vorliegenden Solowerk fündig. In „NE MA-UM“ spielt der traditionelle Pansori-Gesang eine tragende Rolle. Es sind singende Frauen, die sich selbst mit kleinem Schlagwerk begleiten oder begleitet werden. Dieses Setting wurde in das Solostück übernommen.
Das Bild des Herzens, die Verknüpfung mit dem Pansori-Gesang, mit der Textzeile von Artmann, der koreanische Titel – alles legt beredtes Zeugnis davon ab wie die Komponistin in ihrem Werk einen vollständig autonomen Personalstil kreiert unauflösbar verbunden mit ihrem persönlichen Leben.
Ein Echo über Musik
Auf dieser Seite gewinnt die Idee Gestalt, die Interpretensicht auf ein Musikstück zu schärfen. Dies zu tun ist aus verschiedenen Gründen sehr naheliegend. Das Interpretieren von Musik entstand mit der Trennung von Komponieren und Musizieren, eine Trennung, die nicht in der ganzen Musikgeschichte und auf gar keinen Fall für alle musikalischen Gattungen als selbstverständlich an zu nehmen ist. Interpretation ist die Ausdeutung oder Übersetzung eines Textes. In der heutigen Zeit ist die Trennung von Komposition und Interpretation, so selbstverständlich sie anmutet, auf keinen Fall universell zu nennen. Dieses interpretatorische Handeln ist ein kultureller Schatz der westlichen Kunstmusik. Die Trennung von Komposition und Interpretation ist aus der Praxis der Musikausübung gewachsen und eng verbunden mit unserer kulturellen Tradition.
In meinen hier niedergelegten Kommentaren zu ausgesuchten Werken gehe ich diesen Weg der Interpretin. Ich begreife den Prozess der Interpretation als Zwiesprache mit dem Notentext, darüber hinaus als Zwiesprache mit den Quellen, die ein kulturelles Umfeld des Notentextes beleuchten. Bei der Arbeit im Bereich von Neuer Musik, wird die Begegnung mit der Musik lebendig. Es zeigt sich die ungeheure Vielfalt der Begegnungen mit den Menschen, die unter den Voraussetzungen unserer heutigen Zeit ihr kompositorisches Werk schaffen. Aus diesen Begegnungen schöpfe ich einen Erfahrungsschatz, den ich auf diesem Weg teilen möchte.
Meine Ausführungen richten sich an Menschen, die sich instrumental mit zeitgenössischen Kompositionen auseinandersetzen. Sie richten sich darüber hinaus an Musikliebhaber, die durch die Ausleuchtung des Raumes, in dem diese Werke entstanden, ein tieferes Verständnis entwickeln für diese Artefakte der Kunst unserer Zeit.
Ich setze die in der westlichen klassischen Musik entstandene Teilung der Rollen voraus, ohne sie festschreiben zu wollen. In meinem Musikerleben hat mich die Neugier auf die Verbundenheit der Musik mit den Voraussetzungen der Zeit, in der sie entsteht, immer weiter getragen zum Verständnis von Musik als kulturellem Ausdruck einer Gesellschaft. Dieses möchte ich teilen. Ich definiere meine Rolle als Ausdeuterin des vorgefundenen musikalischen Textes. Dies ist in der musikalischen Interpretation, also im Spielen selbst, eine selbstverständliche Herausforderung, immer wieder geschliffen an den höchst ausdifferenzierten Individualstilen der zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten. Darüber hinaus beleuchten die folgenden Texte die spezifischen Umstände, in die die Werke eingebettet sind.
Als Akkordeonistin ist es mein Ziel den Schatz zu beschreiben, den diese Werke für mein Instrument bedeuten.