Silbersaiten
von Younghi Pagh-Paan
für Klavier und Akkordeon
„Silbersaiten IV“ st ein verhältnismäßig kurzes Stück und zeigt eine weitere, wichtige Seite des Schaffens Younghi Pagh-Paans für Akkordeon. Betrachtet man Younghi Pagh-Paans Werkkatalog, so fallen eine ganze Reihe von Werken auf, die durch unterschiedliche Besetzungen wandeln.
Eine ganze Reihe von Werken liegen mit Namensgleichheit für verschiedene Besetzungen vor. In Bezug auf Akkordeon gehören „MAN-NAM III“ für Streichtrio und Akkordeon, dessen Uraufführung ich selbst spielte, dazu. Das vorliegende „Silbersaiten IV“ zählt ebenso zu den Werken, die durch verschiedene Besetzungen wandeln. Die Uraufführung fand in der Klangwerkstatt Berlin statt, von meinem geschätzten Kollegen Gerhard Scherer zusammen mit Katja Tchemberdji.
Die ursprüngliche Version von „MAN-NAM“ entstand für Klarinette und Streichtrio, die ursprüngliche Besetzung für Silbersaiten ist ein Klaviertrio in der Besetzung mit Violine und Cello. Auch der Titel „TA-RYONG“ ist im Werkkatalog sechsmal vertreten, darunter mit einem Werk für Klarinettenduo und Akkordeon. Hier handelt es sich allerdings im Gegensatz zu den erstgenannten um voneinander unabhängige Werke, obgleich sie den gleichen Titel tragen.
Die erstgenannten sind von der Komponistin autorisierte Transkriptionen. Für die Komponistin ist das Bearbeiten ein eigener schöpferischer Prozess. Er ist in der Intensität nicht weit entfernt vom eigentlichen Kompositionsprozess. Es wird dabei kein neues Material erzeugt sondern das vorhandene an die neue Klanglichkeit und Körperlichkeit des Instrumentes angepasst. Dem ursprünglichen Material wird damit eine weitere Facette verliehen, die es ohne diese neue Körperlichkeit – diese andere klangliche Realität – des neuen Instrumentes nicht hätte. Sehr großes Vertrauen ist die Voraussetzung, die eigene Musik einem Interpreten oder einer Interpretin zur Transkription zu übergeben wie dies bei “MAN-NAM III” geschehen ist. Younghi Pagh-Paan hat diesen Bearbeitungsprozess bei allen anderen Instrumenten selbst getan, “MAN-NAM III” bildet hier die Ausnahme von der Regel. Jede Bearbeitung muss die eigene musikalische Seele atmen und ist somit ein schöpferischer Akt. In diesen Gedankenraum sind diese Werke, die einen Transkriptionsprozess durchlaufen haben, verortet.
Silbersaiten – Ein Erinnerungsstück
Silbersaiten ist von Erinnerung durchwoben. Es ist ihm ein Gedicht von Gottfried Keller vorangestellt ist. Der Titel des Gedichtes lautet „Jugendgedenken“.
Hier ist ein kleiner Ausschnitt davon
Ich will spiegeln mich in jenen Tagen,
Die wie Lindenwipfelwehn entflohn,
Wo die Silbersaite, angeschlagen
Klar, doch bebend gab den ersten Ton.
Der mein Leben lang,
Erst heute noch, widerklang,
Ob die Saite längst zerrissen schon.
Bereits in den anderen besprochenen Werken Younghi Pagh-Paans fällt die Verknüpfung mit einer Lyrik auf. Es ist dies ein Moment des Angerührtseins, aus dem die Inspiration für ein Werk gespeist wird, der geistige Ort, zu dem das Werk in Beziehung steht.
„Silbersaiten“ tritt in einen Bezug zu diesem Gedicht ohne Programmmusik zu sein oder sein zu wollen. Die Komponistin sagt dazu in einem eigenen Werkkommentar, dass das Gedicht einen starken Eindruck bei ihr hinterließ und im Nachklang die Idee zur Komposition des Stückes. Die „Silbersaite“ symbolisiert eine Begegnung, die – wie das Anschlagen einer Saite einen Klang erzeugt – noch lange im Herzen nachklingt. Es ist somit ein Stück im Raum des Erinnerns.
Im Titel ist bereits ersichtlich, dass Silbersaiten in verschiedenen Versionen zu finden ist. Die Version für Akkordeon und Klavier ist die vierte von bislang fünf. Das erste Stück dieses Namens entstand 2002 für Klavier, Geige und Cello.
Das vorliegende „Silbersaiten IV“ wurde zur Keimzelle eines ganzen Programmes für Klavier und Akkordeon, in dem Kollegen und ehemalige Schülerinnen und Schüler an der Hochschule für Künste, Bremen, Younghi Pagh-Paan zu ihrem 75. Geburtstag gratulieren. Durch die Pandemie finden diese Konzerte erst etwas später, nämlich im Sommer 2021 statt.