Etendis spielt Heininen, Murail, Lindbergh und Rosenberger
Im diesjährigen Klangbrückenfestival präsentiert Etendis Uraufführungen von Matti Heininen und Katharina Rosenberger. Abgerundet wird das Programm mit Werken von Magnus Lindbergh und Tristan Murail. Bis zum 12.5. ist das Programm abrufbar.
„Moira“ ist ein mitreißendes Werk Younghi Pagh-Paans, der altgriechische Titel bedeutet „Schicksal“. „Moira“ ist die Hauptarie der Antigone in der Oper „Mondschatten“. Dies ist ihre bisher einzige Oper. Sie wurde 2006 in Stuttgart uraufgeführt. „Moira“ entstand am Anfang des Schaffensprozesses und wurde 2004 in Bremen von Katharina Rikus und mir uraufgeführt. Die Oper knüpft in ihrer Handlung an Sophokles Tragödie „Ödipus auf Kolonos“ an. Antigone wird von ihrem Onkel Kreon, Herrscher über Theben, zum Tode verurteilt. Antigone ist eine der beiden Töchter des Ödipus. Sie begräbt ihren Bruder Polinykes, der die Stadt angriff und wird dafür von ihrem Onkel zum Tode verurteilt.
Das Werk „Moira“ zeigt Antigone in der Erkenntnis ihres nahe bevorstehenden Todes. Es leuchtet wie ein Seelenspiegel Antigones inneres Beben aus. Ihr Weh ist von Klage erfüllt. Der Akkordeonpart stützt diese Ausdruckskraft vollständig. Er leuchtet die tiefsten Tiefen und die höchsten Höhen aus, formt banges Erschauern und klangliches Beben. Die Energie des Gesanges schreibt sich im Akkordeonpart fort. (https://joachimheintz.de/globales/2008_Moira.pdf)
Dies ist der Text, den Younghi Pagh-Paan vertont hat:
Geht, Geht – Seufzer – Geht – Seufzer –
Lasst mich!
Weh, Weh, Weh mir! Lasst mich!
Seufzer – Geht, Geht. Es naht, es naht der Tod, Tod, der Tod.
Weh, Weh mir, es naht der Tod – Seufzer – Weh mir, es naht der Tod –
Seufzer – lebendig soll ich steigen in die Gruft. Lebendig in die Gruft.
Doch, doch, wenn die Götter wollen, die Götter wollen, dass ich leide
So lerne ich im Tod wohl meine Schuld
Wenn aber meine Feinde Schuld, dann treffe dasselbe Schicksal sie, das mir verhängt, das mir verhängt. – Seufzer – Der Tod. Dasselbe Schicksal – Seufzer – das mir verhängt
Die drei Säulen
Folgt man Silke Leopold (link: https://www.pagh-paan.com/docs/2020_laudatio_berlin.pdf )in ihren Ausführungen über Younghi Pagh-Paans Schaffen, so identifiziert sie drei Säulen, auf denen ihr bisheriges kompositorisches Werk ruht. Es ist dies als stärkste Wirkmacht die Spannung zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Ein weiteres Lebensthema ist darüber hinaus Politik; das Eingebundensein in politische Unrechtsstrukturen und Gewalt und den Widerstand dagegen. Und schließlich eine Fülle von philosophischen und religiösen Themen, bei denen Younghi Pagh-Paan eine Zusammenschau scheinbar weit entfernter Wirklichkeiten gelingt.
Betrachtet man „Moira“ aus diesen drei Blickwinkeln erhält das Werk einen umfangreichen Bezugsrahmen voller unterschiedlichster Quellen.
Die Sängerin hat einen auffälligen Holzstab, mit dem sie immer wieder auf den eigenen Handballen schlägt. Er ist längs gespalten, so dass dabei beide Holzseiten aufeinander schlagen. Ein solcher Stab wird in buddhistischen Klöstern benutzt, um Menschen aus einem Warteraum auf zu rufen. Im übertragenen Sinne liegt der Aufruf Antigones zu ihrem Schicksal als Assoziation sehr nah. Dieses koreanische Instrument liefert die Schläge, die zum Vollzug aufrufen. Hier begegnet uns die Sängerin, die sich selbst mit einem Schlaginstrument begleitet, ähnlich wie im traditionellen Pansori-Gesang. Der Mezzosopranstimme, die der Klangaura abendländischer Stimmbildung entstammt, wird das fernöstliche Instrument beigegeben, womit die Sängerin in beiden Welten beheimatet ist. Mit „Moira“ erfolgt eine Aneignung der fremden Stimme zum Eigenen hin.
In der Oper Mondschatten gibt es auf der textlichen Ebene eine Verbindung von zen-buddhistischen Haikus, Texten des in Deutschland lebenden koreanischen Philosophen und Kulturwissenschaftlers Byung-Chul Han und der altgriechischen Tragödie. Betrachtet unter dem Licht Silke Leopolds, hat die Sängerin als Antigone Figur eine sehr starke politische Aussage. Sie ist in der Literatur die erste Frau, die sich der Hierarchie widersetzt. Sie ist die erste literarische Person, die sich staatlichem Terror widersetzt. Kreon ist nicht nur ihr Onkel sondern auch das Staatsoberhaupt des Stadtstaates. Mit der Bestattung des Bruders leistet sie politischen Widerstand. Das Werk ist in ein Energiefeld gesetzt, in dem das politische Gesetz mit dem ethischen Gesetz in eine vernichtende Konfrontation gerät. Die Anknüpfung an die dritte genannte Säule, die altgriechische Philosophie, liegt auf der Hand. Sie ist der Rahmen, in dem das Werk geschieht.
„Moira“ und die fortschreitende Lebendigkeit musikalischer Strukturen
Betrachtet man den Akkordeonpart von „Moira“ und vergleicht ihn mit „NE MA-UM“ so fällt auf, dass die Komponistin kompositorisches Material entwickelt hat, das weit über ein Stück hinausreicht. Es entwickelt ein Eigenleben. Die Komponistin definiert die Klangwelt des Instrumentes in ihrem Solowerk. Diese Klangwelt findet sich in „Moira“ in einem völlig anderen Kontext wieder. Es lohnt sich, die Klänge in unterschiedlichen Registrierungen zu erproben, u ihre Vielfalt zu erleben. Das Eigenleben der verwendeten musikalischen Strukturen reicht noch viel weiter. Die Oper Mondschatten entstand in Verbindung mit diesem Grundmaterial. „Io“ für 9 Instrumentalisten ist in diesem Zusammenhang unbedingt zu nennen. Das Werk entstand 2000 also zeitlich zwischen „NE MA-UM“ und „Moira“. Es ist die erste Ausformung des akkordeonspezifischen Klanges als großes Ensemblestück. Inhaltlich verknüpft es sich zu Io, einer Figur aus der griechischen Mythologie. So ist es richtig, „NE MA-UM“ – „Io“ – „Moira“ – „Mondschatten“ in einem Atemzug zu nennen. Sie sind durchweht vom Atem des Gesanges und der Luft des Akkordeons.
NE MA-UM stammt aus dem Jahr 1996 /1998. Titel und Entstehungsjahr verraten bereits enorm viel über dieses bedeutende Werk für Akkordeon. Es ist für Solo-Akkordeon geschrieben und benutzt darüber hinaus noch kleines Schlagwerk.
Herz
Der Titel besteht aus den zwei koreanischen Wörtern „NE MA-UM“. Sie bedeuten „mein Herz“. Betrachtet man die Werktitel Younghi Pagh-Paans, in denen das „Herz“ in koreanischer oder deutscher Sprache auftaucht, so fällt auf, dass alle diese Werke mit Gesang besetzt sind, bis auf „NE MA-UM“ das für Soloakkordeon entstand. So scheint der Gesang sehr eng mit dem Ausdruck des Innersten verknüpft zu sein. Denn dafür steht in Younghi Pagh-Paans Sichtweise das Herz. Mein Herz ist dafür eine Metapher. Das Akkordeon hat offensichtlich für Younghi Pagh- Paan eine sehr enge Beziehung zum Gesang.
Dem Stück ist eine Zeile aus H.C.Artmanns Gedicht „Mein Herz“ beigestellt. Das ganze Gedicht ist hier von Achim Rikus gesprochen zu hören. Dem Werk als Textzeile beigegeben ist daraus die Zeile „mein herz ist die abendstille geste einer atmenden hand“. Diese Textzeile evoziert eine ganz Reihe von Bildern, die mit dem Akkordeon verknüpft sind: die atmende Hand, die die Luft im Balg führt, die abendstille Geste, mit der die Hände mit den Manualen in Kontakt kommen – Ausdruck des Herzens. Spürt man diesem Begriff intensiver nach, so zeigt sich die Frage nach den Konnotationen der Metapher Herz. Erstaunlicherweise ist das Herz im koreanischen Kulturraum mit ähnlichen Assoziationen verbunden wie im europäischen. Es steht für das Innerste, für den Zufluchtsort, die Identität, steht für existenzielle Erfahrung. Wenn Younghi Pagh-Paan als junger Mensch ihrem Vater vorsang, um ihn in seiner tiefen Trauer um den im Krieg verlorenen siebzehnjährigen Sohn, ihren Bruder, zu trösten, so kamen diese Klänge tief aus ihrem Herzen und waren mit dem verbunden, was wir mit dem Begriff Seele zu beschreiben suchen.
Seele
Der Begriff Seele ist schwerlich fassbar. Mit der Frage nach der Seele eines Instrumentes nähert man sich dem Wesentlichen, was ein Instrument ausmacht. Genau dieser Weg lässt sich in Bezug auf das vorliegende Solostück gehen. Im Kompositorischen entwickelt Younghi Pagh-Paan den Klang aus den Bedingungen der kleinsten Einheit, die das Instrument bestimmt. Diese kleinsten Klangeinheiten am Instrument Akkordeon sind die metallenen Zungen, die die Klänge mithilfe von Luft hervorbringen. Diese Stimmzungen sind unsichtbar im Korpus des Instrumentes verbaut. Mit dem fließenden Atem, das heißt mit dem Fließen der Luft kommen sie in Bewegung. Der Atem ist verbunden mit der Seele, durch die Luft steigt der aus ihr auf. Der Klang entsteht aus der freien Bewegung der Luft, ohne Festigkeit. Es ist das Prinzip des Gesangs, das den Akkordeonklang formt. Die Natur der Stahlzunge ist eine andere. Der Klang, den sie produziert ist stetig, man kann sagen er hat binären Charakter. Er ist da oder er ist weg. Anders als Flöten oder Streichinstrumente hat er nicht den weiten Zwischenraum zwischen sein und nicht-sein. Dieser Tatsache sah sich die Komponistin als Herausforderung gegenüber. Das Stück lebt von einer Offenbarung der Vielfalt der Klangbewegung. Sie geschieht in Trillern, Repetitionen, Tremolandi, vibrato-Techniken und der Balgtechnik Bellows-Shake. All diese Techniken der Klangmodulierung hat die Komponistin für das Akkordeon in einer unglaublichen Vielfalt in ihre Musik gebannt. In der Notation erstaunt das Maß an gegebener Freiheit, die an die Verantwortung des Interpreten appelliert. Die Klangbewegung ist geleitet von naturverbundenen Bildern, wie sie das Gedicht von Artmann formulieren – ein Wind der durch Blätter fährt und sie erzittern lässt – ein gutes Bild für ein bestimmtes vibrato, oder einen Triller oder andere Techniken, die die Komponistin mit ihrem Klangsinn für Akkordeon ganz eigen und neu definiert hat.
Luft
Eine ganzheitliche Einordnung des Stückes berücksichtigt den kulturellen Raum, den das Stück in sich trägt. Wie Silke Leopold (link dorthin https://www.adk.de/de/news/?we_objectID=60887) in ihrer Laudatio für Younghi Pagh-Paan anlässlich der Verleihung des Großen Kunstpreises Berlin ausführt, trägt die Komponistin das Eigene und das Fremde als Spannungsfeld in sich. Die Komponistin verbrachte ihre Kindheit in einer mittelgroßen süd-koreanischen Stadt, studierte dann Musik an der Universotät in Seoul. Danach kam sie 1974 mit einem DAAD Stipendium nach Deutschland. Die Werke der ersten 25 Schaffensjahre tragen koreanische Titel, so auch „NE MA-UM“. In diesem Stück gelingt der Komponistin eine ganz eigene Verschmelzung in eine eigene Tonsprache. Diese Tonsprache ist gekennzeichnet durch die musikalischen Erfahrungen in der koreanischen Heimat und der in Deutschland bei Klaus Huber erworbenen kompositorischen Ausbildung. geht man unter diesem Aspekt auf Spurensuche wird man auch in dem vorliegenden Solowerk fündig. In „NE MA-UM“ spielt der traditionelle Pansori-Gesang eine tragende Rolle. Es sind singende Frauen, die sich selbst mit kleinem Schlagwerk begleiten oder begleitet werden. Dieses Setting wurde in das Solostück übernommen.
Das Bild des Herzens, die Verknüpfung mit dem Pansori-Gesang, mit der Textzeile von Artmann, der koreanische Titel – alles legt beredtes Zeugnis davon ab wie die Komponistin in ihrem Werk einen vollständig autonomen Personalstil kreiert unauflösbar verbunden mit ihrem persönlichen Leben.
Musik ist für mich Ursprünglichkeit. Mich interessieren die inneren Bilder von Menschen. Diese Bilder sind für mich Symbole und Chiffren, die das Wesen eines Menschen prägen.
Musik gibt diesen inneren Bildern Ausdruck, sie gibt den Zuständen der Seele einen Klang, sie beschäftigt den Geist mit ihren komplexen Strukturen und sie strömt durch das Instrument nach außen.
Diese buchstäbliche VERKÖRPERUNG von Musik zieht mich mit fast magischer Kraft an.
Dies sind interessante Programme, die in einem geschlossenen Gesamtkonzept entworfen wurden.
„In die Tiefe der Zeit“
„In die Tiefe der Zeit“ wirft den Blick aus der Gegenwart bis zu den Liedern Schuberts. Es ist ein Konzertprogramm, in dem zu den mit Bratsche und Akkordeon ungewöhnlich transkribierten Liedern aus „ Die schöne Müllerin“, die Rezitation von Gedichten tritt. In völlig andere Klanglandschaften führt die Musik Toshio Hosokawas und Wolfgang Rihms, die dazu kombiniert ist und das Programm in drei ästhetische Ebenen spannt.
Axel Porath, Bratsche, Bernt Hahn, Rezitation und Margit Kern
Die mittelalterlichen Vorlagen der kaufbeurischen Gesänge wurden von Norbert Rodenberger rekonstruiert. In verschiedenen Arrangements von Duobesetzungen bis Quintett erklingen diese durch Carl Orff so bekannt gewordenen Gesänge wieder. Der Komponist Ehsan Ebrahimi hat als stilistischen Gegensatz drei Intermezzi zu diesem Reigen mittelalterlicher Gesänge komponiert.
Sabine Lutzenberger, Sopran, mixtura und candens lilium
Gustav Holsts „Planet Suite“ erklingt in diesem Programm vollständig. Ausgehend von der Urversion für zwei Klaviere entstand diese Transkription für Schlagzeug und Akkordeon. Jean-François Guiton entwarf eine visuelle Umsetzung des Planetenthemas. Holsts Musik stand sechs Jahrzehnte später Pate für moderne Filmmusiken.
etendis Olaf Tzschoppe, Schlagzeug und Margit Kern
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„Zeitenlabyrinth“
Im Inneren des Labyrinths liegt Mauricio Kagels Kammermusik für Renaissanceintrumente. In der Besetzung mit Laute und Schalmei wird die Kammermusik zur Ideengeberin für Musik von Claudio Monteverdi, dem Widmungsträger der Kammermusik und einem neuen Werk von Ehsan Ebrahimi, das engen Bezug zu Kagels Kammermusik aufnimmt . Der Film „Kagel in Teheran“ von Sharoukh Khajenouri bildet ein visuelles Präludium.
mixtura, Johannes Vogt, Laute, Live-Elektronik
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„Impulsive Lieder“
In diesem Werk des jungen Komponisten Benjamin Scheuer entfaltet sich ein ganzer Kosmos von spontan aufgenommenen Klängen, die als Grundbausteine der Komposition dienen. Impulsive Lieder besteht aus 23 Miniaturen, die jeweils von einem außermusikalischen Fundstück inspiriert sind. Der Bassist Andreas Fischer wirkt als Solist des gemischten Ensembles, das aus Querflöte, Saxophon, Akkordeon und elektronischem Zuspiel besteht. Das Menschliche und die menschliche Fehlbarkeit sind unabdingbarer Bestandteil des fünfundvierzig Minuten langen Werkes.
(SIEHE MEDIEN)
„Dialogues“
Entlang der „Messe de Nostre Dame“ und den Chansons von Guillaume de Machaut entspinnt sich ein Dialog zwischen den Ursprüngen der Mehrstimmigkeit der europäischen Musikgeschichte und den modernen Komponisten Sarah Nemtsov, Sidney Corbett und Samir Odeh-Tamimi.
Auf dieser Seite gewinnt die Idee Gestalt, die Interpretensicht auf ein Musikstück zu schärfen. Dies zu tun ist aus verschiedenen Gründen sehr naheliegend. Das Interpretieren von Musik entstand mit der Trennung von Komponieren und Musizieren, eine Trennung, die nicht in der ganzen Musikgeschichte und auf gar keinen Fall für alle musikalischen Gattungen als selbstverständlich an zu nehmen ist. Interpretation ist die Ausdeutung oder Übersetzung eines Textes. In der heutigen Zeit ist die Trennung von Komposition und Interpretation, so selbstverständlich sie anmutet, auf keinen Fall universell zu nennen. Dieses interpretatorische Handeln ist ein kultureller Schatz der westlichen Kunstmusik. Die Trennung von Komposition und Interpretation ist aus der Praxis der Musikausübung gewachsen und eng verbunden mit unserer kulturellen Tradition.
In meinen hier niedergelegten Kommentaren zu ausgesuchten Werken gehe ich diesen Weg der Interpretin. Ich begreife den Prozess der Interpretation als Zwiesprache mit dem Notentext, darüber hinaus als Zwiesprache mit den Quellen, die ein kulturelles Umfeld des Notentextes beleuchten. Bei der Arbeit im Bereich von Neuer Musik, wird die Begegnung mit der Musik lebendig. Es zeigt sich die ungeheure Vielfalt der Begegnungen mit den Menschen, die unter den Voraussetzungen unserer heutigen Zeit ihr kompositorisches Werk schaffen. Aus diesen Begegnungen schöpfe ich einen Erfahrungsschatz, den ich auf diesem Weg teilen möchte.
Meine Ausführungen richten sich an Menschen, die sich instrumental mit zeitgenössischen Kompositionen auseinandersetzen. Sie richten sich darüber hinaus an Musikliebhaber, die durch die Ausleuchtung des Raumes, in dem diese Werke entstanden, ein tieferes Verständnis entwickeln für diese Artefakte der Kunst unserer Zeit.
Ich setze die in der westlichen klassischen Musik entstandene Teilung der Rollen voraus, ohne sie festschreiben zu wollen. In meinem Musikerleben hat mich die Neugier auf die Verbundenheit der Musik mit den Voraussetzungen der Zeit, in der sie entsteht, immer weiter getragen zum Verständnis von Musik als kulturellem Ausdruck einer Gesellschaft. Dieses möchte ich teilen. Ich definiere meine Rolle als Ausdeuterin des vorgefundenen musikalischen Textes. Dies ist in der musikalischen Interpretation, also im Spielen selbst, eine selbstverständliche Herausforderung, immer wieder geschliffen an den höchst ausdifferenzierten Individualstilen der zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten. Darüber hinaus beleuchten die folgenden Texte die spezifischen Umstände, in die die Werke eingebettet sind.
Als Akkordeonistin ist es mein Ziel den Schatz zu beschreiben, den diese Werke für mein Instrument bedeuten.
Musik machen ist für mich ein ursprünglicher Ausdruck von Kreativität. Als Interpretin schlüpfe ich in vielerlei Hörweisen und Sichtweisen künstlerischen Ausdrucks. Mein Instrument Akkordeon ist mein Medium. Kultur hat für mich mit dem Neubedenken unserer Wirklichkeit zu tun. So stelle ich mein Instrument in immer neue Zusammenhänge. Ich verwirkliche in meinen Konzertkonzeptionen die Klangfantasien, die ich für mein Instrument habe.
Gegenwärtige Musik trägt immer Vergangenes in sich. Die Verknüpfung der Zeiten fasziniert mich, seit ich mein Instrument erlernte.
In „mixtura“ erforsche ich nun mit der wunderbaren Musikerin Katharina Bäuml das Potential unseres völlig neuen, von uns erfundenen Klangkörpers in Transkriptionen von Musik am Beginn der europäischen Polyphonie und Beauftragungen von Werken für unsere atemberaubende Besetzung.
Die Verknüpfung mit Ideen anderer Künste ist ein großes Anliegen, das ich mit dem Ausnahmeschlagzeuger Olaf Tzschoppe teile. Mit dem fantastischen Bratschisten Axel Porath entstehen gegenwärtig neue Programm für unsere klassisch anmutende Besetzung .
Ein Akkordeon zusammen mit Elektronik zu hören ist für mich ein Abenteuer. Ich stürze mich immer wieder hinein – ganz zu schweigen von Begegnungen mit Musiker*innen aus anderen Kulturkreisen. Immer wieder bin ich tief berührt davon, wie friedlich es ist, gemeinsam Musik zu machen.
So verwandelte ich mich, wie meine Freundin Katharina von mir sagt, in ein Chamäleon, das in rätselhafter Weise mit jeder dieser Welten verschmilzt.
aufgewachsen in der Nähe von Darmstadt, studierte Akkordeon bei Hugo Noth an der Staatlichen Hochschule für Musik, Trossingen und bei Matti Rantanen an der Sibelius Akademie in Helsinki. Ihre Studien schloss sie mit dem Konzertexamen ab. Sie konzertiert mit Solo-Recitals und als Kammermusikerin in vielen europäischen Ländern, reiste in die USA, nach Süd-Korea, China, Kanada. Sie spielt als Gast bei Musikfabrik NRW, mit Rias Kammerchor, den Stuttgarter Vocalsolisten. Sie konzertierte bei Romanischer Sommer Köln, Forum neuer Musik des DLF, Ultraschall, SMCQ Festival Kanada und vielen anderen Festivals. Eine rege Zusammenarbeit verbindet sie mit zahlreichen zeitgenössischen Komponisten, deren Werke sie uraufführt. In eigenen Projekten initiiert sie neue Werke für Akkordeon. Zahlreiche Rundfunkporträts verdeutlichen diese Spezialisierung. 2005 veröffentlichte sie ihre erste Solo-CD mit dem Titel „Heart“, es folgten „TWO“ und „mirror“.
In mixtura realisiert sie zusammen mit Katharina Bäuml seit 2010 gemeinsame Projekte im Spannungsfeld von Alter und Neuer Musik. 2011 erschien bereits die erste CD „Miniatures“ mit eigens für mixtura neu geschriebenen Werken. Es folgten „Archipel Machaut“, „Sibylla“ und „Ommaggio a Francesco“ . Ihre CDs entstanden als Kooperationsprojekte mit Radio Bremen, Bayerischer Rundfunk, Deutschlandfunk und Radio Berlin Brandenburg.
Zusammen mit Olaf Tzschoppe realisiert sie in ensemble etendis Programme, die die Künste interdisziplinär betrachten.
Margit Kern lehrt als Honorarprofessorin an der Hochschule für Künste, Bremen, im Fachbereich Musik.