NE MA-UM
NE MA-UM
von Younghi Pagh-Paan
für Akkordeon Solo mit kleinem Schlagwerk
NE MA-UM stammt aus dem Jahr 1996 /1998. Titel und Entstehungsjahr verraten bereits enorm viel über dieses bedeutende Werk für Akkordeon. Es ist für Solo-Akkordeon geschrieben und benutzt darüber hinaus noch kleines Schlagwerk.
Herz
Der Titel besteht aus den zwei koreanischen Wörtern „NE MA-UM“. Sie bedeuten „mein Herz“. Betrachtet man die Werktitel Younghi Pagh-Paans, in denen das „Herz“ in koreanischer oder deutscher Sprache auftaucht, so fällt auf, dass alle diese Werke mit Gesang besetzt sind, bis auf „NE MA-UM“ das für Soloakkordeon entstand. So scheint der Gesang sehr eng mit dem Ausdruck des Innersten verknüpft zu sein. Denn dafür steht in Younghi Pagh-Paans Sichtweise das Herz. Mein Herz ist dafür eine Metapher. Das Akkordeon hat offensichtlich für Younghi Pagh- Paan eine sehr enge Beziehung zum Gesang.
Dem Stück ist eine Zeile aus H.C.Artmanns Gedicht „Mein Herz“ beigestellt. Das ganze Gedicht ist hier von Achim Rikus gesprochen zu hören. Dem Werk als Textzeile beigegeben ist daraus die Zeile „mein herz ist die abendstille geste einer atmenden hand“. Diese Textzeile evoziert eine ganz Reihe von Bildern, die mit dem Akkordeon verknüpft sind: die atmende Hand, die die Luft im Balg führt, die abendstille Geste, mit der die Hände mit den Manualen in Kontakt kommen – Ausdruck des Herzens. Spürt man diesem Begriff intensiver nach, so zeigt sich die Frage nach den Konnotationen der Metapher Herz. Erstaunlicherweise ist das Herz im koreanischen Kulturraum mit ähnlichen Assoziationen verbunden wie im europäischen. Es steht für das Innerste, für den Zufluchtsort, die Identität, steht für existenzielle Erfahrung. Wenn Younghi Pagh-Paan als junger Mensch ihrem Vater vorsang, um ihn in seiner tiefen Trauer um den im Krieg verlorenen siebzehnjährigen Sohn, ihren Bruder, zu trösten, so kamen diese Klänge tief aus ihrem Herzen und waren mit dem verbunden, was wir mit dem Begriff Seele zu beschreiben suchen.
Seele
Der Begriff Seele ist schwerlich fassbar. Mit der Frage nach der Seele eines Instrumentes nähert man sich dem Wesentlichen, was ein Instrument ausmacht. Genau dieser Weg lässt sich in Bezug auf das vorliegende Solostück gehen. Im Kompositorischen entwickelt Younghi Pagh-Paan den Klang aus den Bedingungen der kleinsten Einheit, die das Instrument bestimmt. Diese kleinsten Klangeinheiten am Instrument Akkordeon sind die metallenen Zungen, die die Klänge mithilfe von Luft hervorbringen. Diese Stimmzungen sind unsichtbar im Korpus des Instrumentes verbaut. Mit dem fließenden Atem, das heißt mit dem Fließen der Luft kommen sie in Bewegung. Der Atem ist verbunden mit der Seele, durch die Luft steigt der aus ihr auf. Der Klang entsteht aus der freien Bewegung der Luft, ohne Festigkeit. Es ist das Prinzip des Gesangs, das den Akkordeonklang formt. Die Natur der Stahlzunge ist eine andere. Der Klang, den sie produziert ist stetig, man kann sagen er hat binären Charakter. Er ist da oder er ist weg. Anders als Flöten oder Streichinstrumente hat er nicht den weiten Zwischenraum zwischen sein und nicht-sein. Dieser Tatsache sah sich die Komponistin als Herausforderung gegenüber. Das Stück lebt von einer Offenbarung der Vielfalt der Klangbewegung. Sie geschieht in Trillern, Repetitionen, Tremolandi, vibrato-Techniken und der Balgtechnik Bellows-Shake. All diese Techniken der Klangmodulierung hat die Komponistin für das Akkordeon in einer unglaublichen Vielfalt in ihre Musik gebannt. In der Notation erstaunt das Maß an gegebener Freiheit, die an die Verantwortung des Interpreten appelliert. Die Klangbewegung ist geleitet von naturverbundenen Bildern, wie sie das Gedicht von Artmann formulieren – ein Wind der durch Blätter fährt und sie erzittern lässt – ein gutes Bild für ein bestimmtes vibrato, oder einen Triller oder andere Techniken, die die Komponistin mit ihrem Klangsinn für Akkordeon ganz eigen und neu definiert hat.
Luft
Eine ganzheitliche Einordnung des Stückes berücksichtigt den kulturellen Raum, den das Stück in sich trägt. Wie Silke Leopold (link dorthin https://www.adk.de/de/news/?we_objectID=60887) in ihrer Laudatio für Younghi Pagh-Paan anlässlich der Verleihung des Großen Kunstpreises Berlin ausführt, trägt die Komponistin das Eigene und das Fremde als Spannungsfeld in sich. Die Komponistin verbrachte ihre Kindheit in einer mittelgroßen süd-koreanischen Stadt, studierte dann Musik an der Universotät in Seoul. Danach kam sie 1974 mit einem DAAD Stipendium nach Deutschland. Die Werke der ersten 25 Schaffensjahre tragen koreanische Titel, so auch „NE MA-UM“. In diesem Stück gelingt der Komponistin eine ganz eigene Verschmelzung in eine eigene Tonsprache. Diese Tonsprache ist gekennzeichnet durch die musikalischen Erfahrungen in der koreanischen Heimat und der in Deutschland bei Klaus Huber erworbenen kompositorischen Ausbildung. geht man unter diesem Aspekt auf Spurensuche wird man auch in dem vorliegenden Solowerk fündig. In „NE MA-UM“ spielt der traditionelle Pansori-Gesang eine tragende Rolle. Es sind singende Frauen, die sich selbst mit kleinem Schlagwerk begleiten oder begleitet werden. Dieses Setting wurde in das Solostück übernommen.
Das Bild des Herzens, die Verknüpfung mit dem Pansori-Gesang, mit der Textzeile von Artmann, der koreanische Titel – alles legt beredtes Zeugnis davon ab wie die Komponistin in ihrem Werk einen vollständig autonomen Personalstil kreiert unauflösbar verbunden mit ihrem persönlichen Leben.
israel-lady.co.il
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Margit Kern
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